Prof Dr. Eva-Maria Thüne

Eva-Maria Thüne hat mehrere Vorträge zu Kindertransport und sogenannter Migrationsliteratur in der Reihe »mittwochs um vier« gehalten. Ihre Aufsätze zur erzwungenen Migration unbegleiteter Minderjähriger finden sich sowohl im 2019 erschienenen Sammelband »Sprache, Flucht, Migration« als auch im neuen Sammelwerk »Sprache – Bildung – Geschlecht«.

Zur Person

Eva-Maria Thüne ist Professorin für Deutsche Sprache und Sprachwissenschaft an der Universität Bologna, Italien. Ihre Forschungsinteressen sind Deutsch als Fremdsprache, Soziolinguistik, Gesprächsanalyse und Literatursprache. In ihrem kürzlich gemeinsam mit Simona Leonardi und Anne Betten herausgegebenen Band »Emotionsausdruck und Erzählstrategien in narrativen Interviews. Analysen zu Gesprächsaufnahmen mit jüdischen Migranten.« setzt sie sich mit dem Tod der Eltern im Israel-Korpus auseinander.

Vorträge in der Reihe »mittwochs um vier«

WiSe 2016/17
(a) Flucht und Migration als Thema der angewandten Sprachwissenschaft.
Datenerhebung durch Sprachbiographien 

Flucht und Migration ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des 20. Jahrhunderts - vor allem im deutschsprachigen Raum. Die dadurch entstehende individuelle Mehrsprachigkeit wird oft nicht als Ressource, sondern als Hindernis gesehen. Mithilfe von sprachbiographischen Erhebungen kann das sprachliche Repertoire in den Blick genommen werden und Sprachbewusstheit entstehen, die die persönliche Mehrsprachigkeit stützt. In diesem Vortrag sollen Beispiele von israelischen und italienischen Informant_innen das verdeutlichen.

SoSe 2017
(b) Dinge als Gefährten. Die Bedeutung von Objekten und Erinnerungsgegenständen bei Flucht und Migration

Dinge sind nicht nur Gebrauchsgegenstände, sie haben auch identitätswirksame Funktionen. Dies kann besonders in Situationen geschehen, in denen sich große Veränderungen im Leben einer Person ergeben, beispielsweise bei Flucht und Migration. In Interviews und Texten kann verfolgt werden, wie Dinge in der Erinnerung Spuren hinterlassen, die Bedeutungsmuster bilden.

WiSe 2017/18
(c) Sprachwandelnde: Überlegungen zur sogenannten Migrationsliteratur

Die stete Zunahme von Texten mehrsprachiger Autor_innen gehört zu den innovativen Tendenzen der deutschen Gegenwartsliteratur. Hierfür hat sich der Begriff Migrationsliteratur eingebürgert. Zur Problematik des Begriffs gehört, dass er sich vor allem auf die erste Generation von Migrant_innen bezieht und ein Ankommen von außen meint. Das trifft für spätere Generationen nicht mehr zu. Autor_innen verschiedener Generationen machen sprachlich-kulturelle Divergenzen und Kontraste produktiv, wobei das Dynamische und Prozesshafte von Sprachgebrauch und -reflexion an verschiedenen Texten mit verschiedenen sprachlichen Verfahren gezeigt wird. Thematisch geht es u.a. um translokale Biographien, Mehrsprachigkeit und neue Perspektivierungen.

SoSe 2018
(d) Sprache nach der Flucht. Erfahrungen der »Kinder« des Kindertransports 1938/39

Der Kindertransport nach Großbritannien 1938/39 war neben der zionistischen Kinder- und Jugendalijah nach Palästina eine der beiden bedeutenden Auswanderungsaktionen für Kinder und Jugendliche aus dem ehemaligen Deutschen Reich und den bedrohten Nachbarländern. Die Kinder und Jugendlichen erlebten dabei einen Wechsel von Sprache und Kultur, auf den sie oft nicht vorbereitet waren. Auf der Grundlage von narrativen Interviews werden Fallbeispiele gezeigt und es soll diskutiert werden, ob und wie Zweisprachigkeit in dieser historischen Konstellation im UK entwickelt werden konnte.

WiSe 2018/19
(e) Erinnerungsorte und sprachliche Rekonstruktion

Jede Migration bedeutet immer auch Auseinandersetzung mit der Geschichte, die dazu geführt hat. Dabei sind oft nicht die Fakten und Zahlen allein ausschlaggebend, sondern auch Orte und Dinge, die in der persönlichen Geschichte eine Rolle spielen. Durch die sprachliche Konstruktion und Rekonstruktion von Ereignissen und Erfahrungen entsteht Erinnerung, die sich im Laufe des Lebens verändern kann, und in der Orte einen besonderen Bezugsrahmen bilden. An Beispielen aus narrativen Interviews aus dem „Israel-Korpus“ (Anne Betten) und mit Kindern des Kindertransports 1938/39 soll dies verdeutlicht werden.

WiSe 2019/2020
(f) Gerettet: Berichte von Kindertransport und Auswanderung nach Großbritannien. Eine Lesung

Im Lesebuch Gerettet: Berichte von Kindertransport und Auswanderung nach Großbritannien sind die Stimmen von Menschen versammelt, die als Kinder oder Jugendliche in den 1930er-Jahren vor der nationalsozialistischen Verfolgung nach Großbritannien fliehen konnten. Die meisten von ihnen kamen in den Jahren 1938/39 mit »Kindertransport« aus Deutschland, Österreich, Polen und der Tschechoslowakei. Die Gesprächsausschnitte beruhen auf Interviews, die Eva-Maria Thüne im Jahr 2017 in Großbritannien mit ihnen zumeist auf Deutsch geführt hat. Die Fragen nach dem Sprachwechsel und den Erfahrungen in der neuen Kultur bildeten den Ausgangspunkt. Doch die Antworten gingen weit darüber hinaus: Es sind auch Erinnerungen an die Eltern, Beschreibungen der dramatischen Reise und Ankunft sowie Lebensberichte unter den Vorzeichen von Trauma und Rettung.

Beitrag im Sammelband 2019

Sprache nach der Flucht. Erfahrungen der »Kinder« des Kindertransports 1938/39 [Beitrag 1]

Keywords

  • Unbegleitete Minderjährige,
  • Kindertransport,
  • Jüdische Geflüchtete,
  • Großbritannien,
  • Sprachbewahrung,
  • Sprachvorbereitung,
  • Spracherwerb.

Abstract

»Die Grundlage des Beitrags bilden drei in den 1990er-Jahren in Israel erhobene narrative Interviews mit ehemaligen »Der Kindertransport nach Großbritannien 1938/39 war neben der zionistischen Kinder- und Jugendalijah nach Palästina eine der beiden bedeutenden Auswanderungsaktionen für Kinder und Jugendliche aus dem ehemaligen Deutschen Reich und den bedrohten Nachbarländern. Die Kinder und Jugendlichen erlebten dabei einen Wechsel von Sprache und Kultur, auf den sie oft nicht vorbereitet waren. Auf der Grundlage von narrativen Interviews werden Fallbeispiele gezeigt, und es soll diskutiert werden, wie der Spracherwerb erfolgte, und ob und wie Zweisprachigkeit in dieser historischen Konstellation im UK entwickelt werden konnte.« (Eva-Maria Thüne 2019: 53)

Beitrag im Sammelwerk Sprache – Bildung – Geschlecht

»Ich musste es mir selber beibringen.«– Erfahrungen von Kindern und Jugendlichen des Kindertransports auf ihrem Bildungsweg

Keywords

  • Ausgrenzung,
  • Kindertransport,
  • Jüdische Geflüchtete,
  • Großbritannien,
  • Spracherwerb,
  • Bildungswege,
  • Agentivität.

Abstract

»Der Kindertransport nach Großbritannien 1938/39 war neben der zionistischen Kinder- und Jugendalijah nach Palästina eine der beiden bedeutenden Auswanderungsaktionen für Kinder und Jugendliche aus dem ehemaligen Deutschen Reich unter dem Nationalsozialismus und den bedrohten Nachbarländern. Die Kinder und Jugendlichen erlebten dabei einen Wechsel von Sprache und Kultur, auf den sie oft nicht vorbereitet waren. Auf der Grundlage von Beispielen aus narrativen Interviews soll diskutiert werden, wie Erfahrungen in den Schulen, Pflegefamilien und Heimen den Anpassungsprozess beschleunigten und die zuvor gemachten Erfahrungen überdeckten. Außerdem soll eine Verbindung zwischen den individuellen Berichten und übergeordneten Narrativen in Großbritannien aufgezeigt werden.« (Eva-Maria Thüne i.E.)