Zur Person
Radhika Natarajan, Germanistin und Ausbilderin für Deutsch als Fremdsprache (DaF), ist im Projekt LeibnizWerkstatt für die Konzeption und Durchführung des Projekts zur Sprachlernunterstützung von Geflüchteten zuständig. Seit 2010 ist sie Lehrbeauftragte am Deutschen Seminar für die Module Mehrsprachigkeit und Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Zuvor hat sie mehr als ein Jahrzehnt am Goethe Institut Mumbai, Indien und darauf acht Jahre an der Tierärztlichen Hochschule Hannover als Dozentin für DaF gearbeitet. Ihre Promotion Sprachliche Wirklichkeiten der Migration zur Schnittstelle Sprachenkenntnis, Alltagsbewältigung und Gender bei Flüchtlingsfrauen ist auf dem Repositorium der Leibniz Universität Hannover zu lesen.
Roter Faden in der Werkstatt und Vorträge in der Reihe »mittwochs um vier«
Ab 2015
(a) Deutsch für und mit Geflüchteten: Lehrwerke, Improvisation, Ehrenamt und mehr
Die Projektmitarbeiterin Radhika Natarajan bietet mehrere Blöcke in den einführenden und Überblick verschaffenden Werkstätten an und gestaltet sie teilnehmendenorientiert und interessengeleitet. Je nach Gruppenzusammensetzung und vorhandenen Vorkenntnissen werden die ersten Grundlagen für das Deutsche als Fremdsprache vermittelt, Hypothesen anhand der Fremdsprachlern- sowie -lehrerfahrung der Teilnehmenden aufgestellt und verglichen, und gängige Lehrwerke unterschiedlicher Verlage vorgestellt und analysiert. Zudem wird für eine Verknüpfung der unterschiedlichen Blöcke gesorgt.
SoSe 2017
(b) Anerkennende Sichtbarkeit: Flüchtlingsfrauen als ehrenamtlich Handelnde
Der einseitige Blick auf die mehrfache Unterdrückung einer Flüchtlingsfrau verschleiert unwillentlich deren Handlungsfähigkeit. Ihre Bemühungen und die Aushandlungsprozesse mit ihrem sozialen Umfeld in der je konkreten Situation bleiben oft verdeckt. Wahrgenommen werden Fluchtmigrierte als Empfänger_innen von Sozialarbeit und -leistungen doch kaum als Initiative Ergreifende. Laut eigener Interviewerhebungen können etliche Frauen durch ehrenamtliches Engagement offenbar neue Handlungsräume schaffen und gestalten. Die damit verbundene Erfahrung einer sichtbaren Anerkennung und einer anerkennenden Sichtbarkeit trägt als ein wichtiger Ansporn zum fortwährenden freiwilligen Engagement bei. Diesen in der Forschung oft übersehenen Aspekt von Flüchtlingsfrauen als Handelnden und zwar ehrenamtlich Handelnden erstrebt der Vortrag mit Fokus auf Sprachen sichtbar zu machen.
WiSe 2017/18
(c) Vererbtes Engagement: Facettenreiche, gesellschaftliche Teilhabe von Zwangsmigrierten
Der Vortrag geht auf drei Arten von Teilhabe ein: Die Teilhabe an Bildung zielt antizipatorisch auf sozialen Aufstieg. Teilhabe an der körperlichen wie seelischen Unversehrtheit stellt in der hiesigen Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit dar, für Entflohene ist sie jedoch ein besonders hohes Gut. Zum letzten wird eine mehrfache Teilhabe aufgezeigt, die sich ausdrücklich politisch gestaltet, Grenzen übergreifend geschieht und sich dabei der medialen wie mehrsprachigen Ressourcen bedient. Im Laufe des Flüchtlingsdaseins werden diese Beschäftigungen auch intergenerational tradiert und weitergegeben. Bei allen drei hier kurz angerissenen Varianten wird eine Verbindung zwischen der (un-)mittelbaren Erfahrung der Zwangsmigration sowie den daraus entstehenden Verpflichtungen gegenüber der eigenen Community hergestellt, die zu einer Reihe von Unternehmungen und Unterlassungen führt.
SoSe 2018
(d) Zur diskriminierungssensiblen Pädagogik der Mehrsprachigkeit. Erste Überlegungen
Nicht nur Menschen mit sogenannter Zuwanderungsgeschichte, sondern auch Menschen aus der Mehrheitsgesellschaft tragen zur sprachlichen Vielfalt in Deutschland bei. Aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen wie der Zuzug von Neuzugewanderten, die erhöhte Mediennutzung zur Kommunikation u. a. weisen auf die bestehende und entstandene Selbstverständlichkeit im Umgang mit Sprachen sowie auf die offensichtliche Gleichzeitigkeit, obschon nicht Gleichwertigkeit, von mehreren Sprachen hin. Die konsequente, wissend-unwissende Missachtung dieser Sprachenvielfalt und Mehrsprachigkeit führt allerdings zu diskriminatorischen Praxen und letztendlich zu struktureller Gewalt hin, die jedoch meist unsichtbar und unerkannt bleibt, und daher unbekämpft fortbesteht und reproduziert wird.
Ziel dieser Einführung ist es, unser gemeinsames Verstehen von individueller, institutioneller und gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit auszuloten, die Konsequenzen für den pädagogischen Kontext zu erarbeiten und gemeinsam Überlegungen zu einer diskriminierungssensiblen Pädagogik der Mehrsprachigkeit anzustellen.
WiSe 2019/2020
(e) Struktur als Halt oder die Verschiedenheit gleichlautender Begrifflichkeiten – Einige Überlegungen zu Fluchtmigration durch die Sprachbrille
Laut dem Sachverständigenrat für Migration und Integration war Familienzusammenführung bis 2015 eine der häufigsten Migrationsarten, mithilfe derer sich der Lebensmittelpunkt Drittstaatsangehöriger in die Bundesrepublik Deutschland verlagern ließ. Zeitweilig steht zwar Asyl an erster Stelle, doch der Vorrang des Familiennachzugs bleibt unangefochten bedeutsam, dafür aber vergleichsweise wenig thematisiert. Erwachsene sowie Kinder und Jugendliche sind davon betroffen, und dies trifft sowohl bei freiwilliger Arbeits- und Bildungsmigration als auch bei erzwungener Fluchtmigration zu, zumal die Grenzen zwischen den Migrationsarten immer schwerer werden, eindeutig festzulegen. Entsprechend vielfältig sind die mitgebrachten sprachlichen Ressourcen im biographischen Gepäck, sodass innerhalb einer einzigen Familie einige mit einer, andere mit mehreren Sprechsprachen einreisen, aufwachsen und den Alltag gestalten. Um der sprachlichen Mehrschichtigkeit der Gegenwart nachzuspüren, lohnt sich ein Blick in Studien zu bestehenden Flüchtlingscommunities.
Der Vortrag nimmt biographisch-narrative Interviews mit sri-lankisch tamilischen Flüchtlingsfrauen als Grundlage für seine Überlegungen und geht vier Aspekten nach: Wie beeinflussen bestehende institutionelle Rahmenbedingungen im Aufnahmeland den Zugang zur Landessprache Deutsch? Wie prägen die im Exil entstehenden Selbst- und Gruppenzwänge die Einstellung zu mitgebrachten und vorzufindenden Sprachen? Welches Verständnis herrscht hierbei, wenn in den Interviews einerseits von ›wir‹, ›unser Kampf‹, ›unsere Sprache‹ und andererseits in den Diskursen über Geflüchtete und Migrierte von ›Mehrsprachigkeit‹, ›Herkunftssprache‹ die Rede ist? Allen Fragen gemeinsam sind der Faktor ›Struktur‹ auf verschiedenen Ebenen, und zwar einengende und befreiende, vorgegebene und erfundene Strukturen, die den nötigen Halt – oder zumindest den Schein davon – in der diasporischen Ferne bzw. im Aufnahmeland bieten, sowie gleichklingende Begrifflichkeiten bezüglich Sprache und Migration mit je unterschiedlicher Auslegung.
Beitrag im Sammelband 2019
Sprache, Flucht und Migration. Einordnende Überlegungen [Einleitung]
Keywords
- Fluchtmigration,
- Deutscherwerb,
- biographisches Gepäck,
- Umgang mit Sprachen,
- Einwanderungsland,
- Zivilgesellschaft,
- Ehrenamt,
- Empathie,
- Solidarität.
Abstract
»Die Ankunft von Geflüchteten und der alltägliche Umgang mit ihnen haben seit dem Sommer 2015, dem sogenannten »langen Sommer der Migration« die zivilgesellschaftliche Verfasstheit und die Bereitschaft zum freiwilligen Engagement in der Bundesrepublik Deutschland zutage gefördert, lokal gewirkt und überregional für anerkennende Schlagzeilen gesorgt. Das Bewusstsein um Schicksale von Menschen, die eine Flucht hinter sich gebracht haben, ist unter Angehörigen der hiesigen Aufnahmegesellschaft nicht mehr lediglich von Erfahrungen anderer oder über Erzählungen Dritter präsent; etliche haben in ihrer Nachbarschaft und in den von ihnen besuchten Bildungseinrichtungen, Arbeits- und Freizeitbereichen unmittelbaren – gewollt oder unvorhergesehen – Kontakt zu den Neuzugewanderten.
Die interdisziplinären Beiträge dieses Bandes werden Analysen vornehmen, Perspektiven aufzeigen, Überlegungen anstellen und Ideen entfalten, die sonst nur im jeweiligen Fach bekannt gewesen wären, in dieser Zusammensetzung allerdings auch Fachfremde ansprechen wollen. Nach einem knappen Aufriss zur Wanderungsgeschichte, zum Umgang mit Sprachen sowie zu Bezeichnungen für die gegenwärtige Gesellschaft werden der Aufbau dieses Rahmenbandes, der sich aus drei Buchteilen A, B & C zusammensetzt, und die insgesamt 25 Beiträge in sechs thematischen Kapiteln kurz vorgestellt.« (Radhika Natarajan 2019: 3ff.)
Beitrag im Sammelwerk Sprache – Bildung – Geschlecht
Anerkennende Sichtbarkeit: Ein Blick auf Familiennachzug und verflochtene Biographien
Keywords
- Familiennachzug,
- Bildungszugang,
- sprachliche Vielfalt,
- Mehrsprachigkeit,
- Geschlechterverhältnisse.
Abstract
»Familiennachzug gehört weltweit und auch in Deutschland zu den wenigen Formen der sicheren und legalen Migration und gestaltet sich damit als eine der wichtigsten Migrationsarten. Ungeachtet der Migrationsform der Ersteingereisten, sei es Erwerbs-, Bildungs- oder Fluchtmigration, (be-)trifft die Zusammenführung von Familien im bundesdeutschen Kontext die zurückgebliebene Kernfamilie. Aktueller und akuter Anlass zur Thematisierung und Sichtbarmachung dieser vergleichsweise sicheren Form der Mobilität ist der seit März 2016 verhängte, fast zweieinhalbjährige Stopp des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten in der Bundesrepublik Deutschland. Mit Menschen – Kindern und Ehepartner_innen mit verwehrtem Zugang zu Sicherheit –, die jedoch gar nicht deutschen Boden erreicht haben, lassen sich keine Interviews über Sprache und Bildung führen. Stattdessen werden in diesem Beitrag die Erfahrungen von zwei als weiblich gelesenen Personen unterschiedlichen Alters, die bürgerkriegs- und asylbedingt um die Jahrtausendwende mit 15 bzw. 50 Jahren im Rahmen des Familiennachzugs in die Bundesrepublik Deutschland einreisten, kurz nachgezeichnet. Fokus hierbei ist zum einen die Bedeutung der verschiedenen Maßnahmen und Angebote als Zugang zur Bildung und Umgebungssprache Deutsch und zum anderen die mitgebrachte und hierzulande erlebte sprachliche Vielfalt.« (Radhika Natarajan i.E.)